Warum fühle ich mich in Paraguay so wohl?
- Stephanie
- 29. Sept. 2022
- 4 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 14. Dez. 2023
Einem Gefühl auf der Spur
Für meinen ersten Besuch in Paraguay hatte ich gerade mal 12 Tage. 12 Tage, um einen Eindruck von diesem Land zu bekommen. Irgendetwas hatte mich hierhergezogen und nun wollte ich herausfinden, was es war. Da war ich jetzt. 11.000 km entfernt von zu Hause, in einem Land mit zwei Sprachen, die ich beide nicht sprach. In einem Land, über dessen Kultur ich so gut wie nichts wusste, dessen Menschen ich weder verstehen noch einschätzen konnte.
Die ersten Tage verbrachte ich in Asunción, wohnte in einem typischen kleinen Wohngebiet mit Einheimischen und Deutschen. Mein erster Spaziergang führte mich in eine komplett andere Welt. Rote Erdstraßen, kleine Häuschen, zum Teil ohne Fenster, umgeben von rotem Sand. Daneben, Häuser von gehobenem Standard mit gepflegtem Garten. Dazwischen eine Wiese, auf der Pferde grasten. Einfach so, ohne Zaun, ganz alleine. Und dann kam da noch der Mann mit der Pferdekarre, der mich freundlich grüßte. Ja, ich war in einer anderen Welt angekommen.
Aber es machte mir kein komisches Gefühl - im Gegenteil. Alles in mir fühlte ein "ja" dazu. Ich hörte mich innerlich immer wieder sagen "wie schön ist denn das".
Wenn ich ein einfaches Haus betrachtete, so sah ich die Schönheit, die hier zu finden ist. Den Reifen, der am Baum hängt und den Kindern als Schaukel dient oder die liebevoll gestalteten Pflanzenschalen, die ebenso an die Bäume gehängt werden.
Ich sah die Hunde, die Hähne und die Hühner, die mit ihren Küken umherlaufen. Ja, Küken! Hier bekommen Hühner noch Küken und alle laufen dann einfach so auf den Wegen und Straßen herum.
Von Tag zu Tag fühlte ich mich hier wohler. Klar, ich war im Urlaub, kein Stress mehr. Aber diesmal war es anders. Das Leben wirkte hier so ganz anders. Die Unkompliziertheit, mit der viele Dinge einfach gemacht werden, eine Entspanntheit, die ansteckend ist. Dazu Menschen, die mich mit großer Herzenswärme aufgenommen hatten und deren Hilfsbereitschaft mich tief beeindruckte. Alles fühlte sich einfach nur gut und richtig an. Ich war mir sicher, ich würde zurückkehren.
Das Zurückkehren folgte dann schneller, als ursprünglich gedacht. Und ja, es fühlt sich immer noch richtig an. Das Einzige, was immer wieder schmerzt ist, dass ich meine Liebsten zurücklassen musste, um diesen Weg zu gehen.
Manchmal fühlt es sich immer noch ein wenig unrealistisch an. Ich schaue dann in den blauen Himmel und kann es nicht glauben, dass ich jetzt in einem Land lebe, in dem es Krokodile gibt und ich mir die Bananen und Zitronen aus meinem Garten hole.
Vieles ist so einfach und entspannt geworden. Viele Dinge sind hier möglich. Einfach mal machen, ausprobieren - ist erlaubt und erwünscht. Vieles geht ohne viel Bürokratie und ohne Durch-Reglementierung. Dies schenkt eine wundervolle Freiheit und das Gefühl, sein Leben wieder in Selbstverantwortung gestalten zu können. Sicher einer der Punkte, warum ich mich hier so wohl fühle.
Ein weiterer Punkt wurde mir erst vor Kurzem so richtig klar. Ich glaube, es liegt an meinem Alter. Hört sich jetzt vielleicht komisch an, ist aber wohl tatsächlich so. Ich erkläre euch, was ich meine.
Aufgewachsen als junger Mensch in den 80ern, mit gelben Telefonzellen und dicken Telefonbüchern, in denen wir ewig nach Namen suchten. Mit Kaugummiautomaten an der Ecke und Pausenbrötchen vom Schulbäcker. Zelten mit Lagerfeuer, Fahrradfahren ohne Helm, Klassenpartys mit Flaschendrehen, tanzen in Discos und Freunde, die einfach vorbei kamen - das war unsere Welt. Ja, wir sind einfach bei unseren Freunden vorbei gegangen. Ohne vorher zu fragen, wann Zeit wäre, ohne Termine abzusprechen. Man war einfach da und es war gut so. Es war einfach und unkompliziert. Und dann war da noch unsere Musik! Die 80iger! Wir hatten wirklich eine tolle Zeit.
Und nun bin ich hier in Paraguay. Stehe im Supermarkt oder sitze im Bus und aus den Lautsprechern dröhnen die Bee Gees, Modern Talking und Abba. An den Wochenenden hören die Nachbarn gerne laut Musik und Karaoke ist angesagt. Und wieder sind es die alten Songs! Die Paraguayer lieben die Musik der 80er und sie läuft überall, sogar in den Clubs.
Wenn ich etwas brauche, etwas vergessen habe einzukaufen, gehe ich mal schnell zur Despensa um die Ecke. Hier ist immer was los. Manche Paraguayer kommen mit dem Moped. Ohne Helm und mit Badeschlappen. Geht auch. Die deutschen Nachbarn sind auch gerade da. Ein kurzer Schwatz, dann bin ich schon wieder zu hause. Keine Autofahrt, kein im Stau stehen, kein langes Anstehen an der Kasse.
Und dann wurde es mir klar. Es ist genau das, warum ich mich hier so wohl fühle. Die Zeit scheint hier für uns in vielerlei Hinsicht stehen geblieben. Ich fühle mich zurückversetzt. Zurück in eine Zeit, in der alles noch unkompliziert und einfach war. Melancholisch, ja bestimmt.
Aber ich habe keine Lust mehr auf nicht enden wollenden Papierkram, auf Telefoncomputer mit anschließenden endlosen Wartezeiten, um einfach mal mit einem Menschen sprechen zu können, der mir dann vielleicht weiterhilft. Ich möchte meine Lebenszeit nicht mehr in unnötigen bewusst herbeigeführten Staus vergeuden. Möchte keine 3/4 Stunde für einen Bäckerbesuch einplanen müssen. Möchte nicht mehr in einer oberflächlichen, kalten, materialistisch ausgerichteten und durchdigitalisierten Gesellschaft leben, in der nichts anderes mehr Platz zu haben scheint.
Es ist meine große Sehnsucht nach Freiheit, Einfachheit und Unkompliziertheit, die hier gestillt wird.
Hinzu kommen eine wunderbare Natur, die Herzenswärme und die große Hilfsbereitschaft der Paraguayer. Ach ja, und nicht zu vergessen ihre beeindruckende Zufriedenheit und ihre Lebensfreude, vor allem zu hören beim nächtlichen Karaoke.
Es ist dieses Gesamtbild, warum ich mich hier so wohl fühle. Die Tage sind einfach nicht mehr so anstrengend. Ich lebe hier wesentlich ruhiger und entspannter.
Vielleicht bin ich schon zu alt für diese neue moderne hochtechnisierte Gesellschaft. Nicht falsch verstehen, ich liebe mein Alter und fühle mich nicht alt! Vielleicht bin ich aber auch einfach mit weniger zufrieden und habe andere Schwerpunkte in meinem Leben.
Wie auch immer. "Tranquillo" ist hier angesagt... ohne Briefkasten und Klingel funktioniert das auch schon ziemlich gut.

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